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Necmi Sönmez

Über das, was zu bauen wäre. Ein Gespräch mit Brigitte Dams

NS Wie kommt es zu deiner Vorliebe für einfache, industriell gefertigte und gebrauchte Materialien? Sind die vorhandenen „Arbeitsspuren" für die Konzeption der Arbeiten wichtig?

 

BD Ich arbeite sehr gerne mit diesen einfachen, industriell hergestellten Materialien: mit Fahrrad- und Feuerwehrschläuchen, Gurtbändern, Hartfaserplatten und ähnlichem – das sind unbelastete Materialien. Sie haben etwas sehr Pragmatisches, einem Zweck Zugeordnetes, sprechen eine einfache Sprache. In der Wahrnehmung der meisten Menschen haben sie keine andere Qualität als die der Funktionalität. Gerade deshalb werden sie für mich zu einem Werkstoff der Widerstand bietet – mit der Möglichkeit der nahezu vollständigen Umwandlung ihres Erscheinungsbildes. Die Spuren des Gebrauchs sind Teil der Geschichte (dieser Materialien), sie sind in einem anderen Zusammenhang verwendet worden, haben keine glatte Oberfläche, sind sperrig, spröde, „unschön“.

 

NS Deine Skulpturen, deine großen Collagen, deine Objekte und Installationen basieren oft auf Schichtungen und Überlagerungen, die als Arbeitsmethode wie ein roter Faden deine Arbeiten durchziehen. Wie hast du diese Techniken im Kontext deiner Arbeiten entwickelt?

 

BD In den Anfängen habe ich gemalt; auch heute arbeite ich immer noch wie eine Malerin: schichtend und überlagernd, verändernd. Bestimmte Stellen in einem Bild werden wieder und wieder übermalt, andere Stellen bleiben stehen, schließlich fügt sich alles zu einem Ganzen. Alle Bildschichten sind auf der Leinwand vorhanden, doch nicht alle sind zu sehen. Auch in meiner bildhauerischen Arbeit gehe ich so vor. Diese physische Präsenz muss körperlich erfahrbar sein, man muss drum herum gehen können, verschiedene Ansichten wahrnehmen. Es geht mir ums Dasein, Verschwinden, Verbergen – um Verwandlung. Dieses Verdecken und Verstecken, die gleichzeitige Präsenz und die (teilweise) Abwesenheit von Flächen, Formen und Strukturen in meinen Skulpturen, Objekten und Installationen ist eine Fortführung dieser Arbeitsweise in der Dreidimensionalität des Raumes. In Korrelation der räumlichen mit den bildnerischen Aspekten erweitere ich die Zweidimensionalität der Fläche, auch der Zeichnung oder Collage aus der Eindimensionalität des Denkens. Die körperliche Präsenz und (gedankliche) Abwesenheit, die Vielschichtigkeit subjektiven Empfindens, der Wandel der Dinge und ihre Korrelationen zueinander interessieren mich, führen mich am roten Faden. Schichtungen und Überlagerungen sind Möglichkeiten des Zeigens und Verbergens.

 

NS Die gemeinsame Erscheinung der physischen und abstrakten Strukturen spielt in deinen neuen Arbeiten eine wichtige Rolle. Ich weiß nicht, ob man hier von einer organisch anmutenden Struktur sprechen kann? Wie wichtig ist dir die Einbeziehung der Körpererfahrung?

 

BD Im Gegensatz zur Malerei ist jede große Skulptur ein physisches, körperhaftes Gegenüber, das mir Volumen, Materialität, Beschaffenheit, Oberfläche entgegenstellt. Diese physische Präsenz muss körperlich erfahrbar sein, man muss drumherum gehen können, verschiedene Ansichten wahrnehmen. In meinen neuen Arbeiten geht es um Strukturen, Muster, auch Ornamente, aber im Sinn eines übergreifenden, eines übergeordneten Ordnungsprinzips. Organische Strukturen und Vernetzungen ähneln sozialen Strukturen, wachsen und vergehen. Für mich ist es ein Bild von Chaos und Ordnung.

 

NS Warum weiß ich nicht, aber als ich deine neuen Arbeiten gesehen habe, habe ich sofort an Psychogramme – als Niederschrift psychischer Vorgänge – gedacht. Die schwarzen Linolschnittplatten und die Skulptur mit Fahrradschläuchen erscheinen mir wie nervöses Liniengewirr. Kannst du meine Eindrücke nachvollziehen?

 

BD Die Arbeiten beziehen sich auf spezifische Orte oder soziale Strukturen unseres Alltags; es geht um Netze von zwischenmenschlichen Beziehungen, deren Gesamtheit die konkrete Lebenswelt ergeben. Alles ist netzartig miteinander verbunden. „Das berüchtigte `Selbst` ist als ein Knoten zu sehen, in welchem sich verschiedene Felder kreuzen, etwa die vielen physikalischen Felder mit den ökologischen, psychischen und kulturellen.“ (1 Villem Flusser) Die organischen, expandierenden Formen in den schwarzen, runden Linolschnittplatten wie auch die gliedernden, netzartigen Strukturen der Skulptur aus Gummischläuchen stehen in Verbindung mit der Untersuchung sozialer Gefüge, dem Verlust und dem Neuanfang, dem Werden und dem Vergehen. Sie sind Ausdruck innerer und äußerer Vorgänge, Ausdruck von Unruhe und Ordnung. Die Skulptur selbst hat keinen Titel, sie ist sehr strukturiert. Die Linien aus Fahrradschläuchen ordnen sich zu einem Gefüge, werden gebündelt, miteinander verstrickt. Ebenso wie eine Reihe weiterer Linoleumplatten, in die ich Soziogramme eingeschnitten habe, sind sie auf eine Erweiterung der Skulptur, auf Wandel angelegt. Das Maß ist dabei variabel, kann in einem anderen Raum oder zu einem anderen Anlass zu einer raumgreifenden Installation anwachsen – und so gewissermaßen mehrere Zustände bzw. Formen einnehmen.

 

NS Du hast mir eine interessante Collage gezeigt, die wie eine Skizze gedacht ist aber darüber hinausgeht. Wie würdest du diese Collage beschreiben?

 

BD Sie ist eine eigenständige Papierarbeit oder vielmehr ein „Gedankengefüge“ und besteht aus verschiedenen Elementen. Ich sammle Papier und reise gerne. Wenn ich unterwegs bin, fertige ich häufig kleine Zeichnungen an und füge sie später im Atelier zusammen. Eine Umrisszeichnung vegetativer Formen wird hier von netzartigen, rasternden und miteinander verwobenen Linien überlagert – teils verdeckt, teils wieder durchscheinend. Die an unterschiedlichen Orten aufgezeichneten, aufgefangenen, gesammelten Zeichnungen sind Teil der Collage. Die Linie trifft hier transparente Papierstücke verschiedener Qualität, steht neben den massiven Flächen aus Graupappe. Die weiße Fläche des Papiers ist mein „gedachter Raum“, den ich bespiele und anfülle. Die einzelnen Teile der Collage treten miteinander in Dialog und entsprechen dennoch Flächen, Linien und Formen, gewebten und verknoteten Strukturen in den Überlegungen zu meinen Installationen. Der flächige und somit bildhafte Charakter ist gleichzeitig ein räumlicher Plan. Es sind Erinnerungsstücke, die die Idee zur räumlichen Umsetzung beinhalten. Es sind sozusagen "Arbeitspläne" für mich, Skizzen über das, was zu bauen wäre.

 

1 Vilém Flusser „Die Stadt als Wellental in der Bilderflut“, 1988